Geschlechtergerechtigkeit und queere Sichtbarkeit stärken statt diskriminierendes Genderverbot
Ende vergangenen Jahres kündigte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ein Genderverbot für Verwaltung und Schulen in Bayern an. Der bayerische Wissenschafts- und Kunstminister Markus Blume (CSU) erklärte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, dass das Genderverbot „selbstverständlich“ auch im Geltungsbereich seines Ministeriums umgesetzt werde.
Das breite Bündnis aus Gewerkschaften, hochschulpolitischen Akteur*innen, queeren Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen lehnen wir derartige Vorstöße diskriminierender Sprachzensur ab. Die Verwendung von Sonderzeichen wie dem Genderstern, dem Doppelpunkt oder dem Unterstrich dient insbesondere der Sichtbarmachung und Adressierung von nichtbinären und agender Personen, von Menschen ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Geschlechtseintrag divers. Ein Verbot geschlechterinklusiver Schreibweisen mittels Sonderzeichen macht diese Personen unsichtbar, verdrängt sie aus unserer Sprache und diskriminiert sie damit schlussendlich. Eine derart repressive Sprachpolitik steht den von CSU und Freien Wählern in ihrem Koalitionsvertrag gemachten Versprechen, „den Einsatz des Landes gegen Diskriminierung und für eine offene Gesellschaft“ zu verstärken und sich Angriffen auf „queere Mitmenschen mit allen Mitteln des Rechtsstaats“
entgegenzustellen, diametral gegenüber. Mit ihrem Genderverbot verschärft die Staatsregierung eine queerfeindliche Stimmung und Diskriminierung, statt sie abzubauen. Über 1,6 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gehen in Bayern zur Schule. Unter ihnen sind auch viele queere Schüler*innen, die eine besonders vulnerable Gruppe darstellen: Die Suizidrate junger queerer Menschen ist vier- bis sechsmal so hoch wie bei nicht-queeren.
Bayerns Schulen sollten ein Schutzraum, ein Ort der Wertschätzung und Akzeptanz für alle Kinder und Jugendliche sein, unabhängig von ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität. Queeren Jugendlichen fehlt es in unseren Bildungseinrichtungen immer noch vielfach an Anlaufstellen und Vorbildern. Um ihnen ein Gefühl der Gleichwertigkeit und Akzeptanz zu vermitteln, brauchen wir mehr queere Sichtbarkeit in unseren Schulen. Ein staatlich verordnetes Genderverbot in bayerischen Schulen macht jedoch alle Bemühungen in diese Richtung zunichte. Es macht die Lebensrealitäten und vielfältigen Identitäten queerer Schüler*innen und auch der queeren Beschäftigten an unseren Schulen unsichtbar, schließt sie aus und vermittelt ihnen das Gefühl, an bayerischen Schulen nicht willkommen zu sein.
Bayerns Hochschulen haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt auf den Weg gemacht, (mehr) Geschlechtergerechtigkeit in Hochschule und Wissenschaft zu verwirklichen und Formen struktureller Diskriminierung abzubauen. Vielerorts wurden Antidiskriminierungsstellen eingerichtet, Gleichstellungskonzepte erarbeitet, queere Perspektiven in Forschung, Lehre und Studium gestärkt. Nicht selten kamen die Initiativen dazu aus der Hochschulgemeinschaft selbst. Mit dem vom Wissenschaftsministerium verantworteten, 2023 in Kraft getretenen Hochschulinnovationsgesetz schreibt der Gesetzgeber zudem den Schutz vor Diskriminierungen u.a. aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Identität ausdrücklich als Aufgabe bayerischer Hochschulen fest. Die eingangs erwähnte Ankündigung Markus Blumes, das Genderverbot auch im Wirkungsbereich seines Ministeriums umsetzen zu wollen, führt die Anstrengungen bayerischer Hochschulen für mehr Geschlechtergerechtigkeit und gegen Diskriminierung nun ad absurdum. Darüber hinaus greift ein Genderverbot in der Wissenschaft in die Autonomie der Hochschulen und die grundgesetzlich verankerte Freiheit von Forschung und Lehre ein.
Der Vorstoß der bayerischen Staatsregierung, geschlechtergerechte Sprache zu verbieten, die auch eine Ansprache und Abbildung nichtbinärer und agender Geschlechtsidentitäten ermöglicht, fällt in eine Zeit sich immer weiter zuspitzender gesellschaftlicher Konflikte und eines gegen die demokratische Verfasstheit unseres Landes sowie die Gleichwertigkeit aller Menschen gerichteten Kulturkampfes. Die über Jahrzehnte mühsam errungenen Fortschritte beim Abbau geschlechtsspezifischer Diskriminierungen und der Anerkennung von Geschlechtervielfalt stehen unter massivem Druck. Die Angriffe richten sich häufig gegen eine (Sexual-)Pädagogik der Vielfalt, gegen Institutionen und Wissenschaftler*innen, die sich in ihrer Forschung mit Fragen von Geschlechterverhältnissen beschäftigten, und schließlich gegen queere Menschen selbst.
Ein staatlich verordnetes Genderverbot befördert eine queerfeindliche Stimmung im Land und ist Wasser auf die Mühlen derer, die seit Langem gegen queere Menschen hetzen, ihre Lebensrealitäten als ungleichwertig stigmatisieren und im Extremfall als „lebensunwert“ gewaltsam verfolgen.
Wir fordern Sie als Landtagsabgeordnete daher auf, sich der populistischen Stimmungsmache auf Kosten queerer Menschen zu widersetzen, das von der Staatsregierung angekündigte Vorhaben eines Genderverbots zu verhindern und sich für Geschlechtergerechtigkeit, für Akzeptanz und Repräsentanz queerer Menschen mit ihren vielfältigen Lebensrealitäten einzusetzen – für ein modernes, weltoffenes und demokratisches Bayern.
Der offene Brief kann nachgelesen werden unter: www.gew-bayern.de/offener-brief-gegen-genderverbot